Arabesken. Zu Serhij Zhadans Kurzgeschichten und zum Krieg in der Ukraine

Man muss sich seinen Namen merken. Wie schreibt man ihn: Jadan, à la française? Zhadan?
Jahre vor dem 24. Februar 2022, als der Ex-KGBler im Kreml die russische Okkupation zum totalen Krieg, zum Abnützungs- und Vernichtungskrieg ausweitete, hat Serhij Zhadan, eigentlich Pop-Sänger und Autor von Gedichten (Antenne, 2018), die Illias und Odyssee der Ukraine geschrieben, den Roman Internat (2017). Im Wissen, dass Kyiv —Moskaus Mutter, dann jahrhundertelang unter seiner Knute — anders als das Baltikum, als Polen und die Staaten an der Donau — sich nicht auf den löchrigen Schutzschild der Northern Atlantic Treaty Organisation verlassen würde können.
Wobei Historisches in Zhadans Prosa keine Rolle spielt. Er ist Musiker und bleibt es auch, wenn er erzählt und Uniform trägt. Leider Gottes gibt es eine Zeit, wo Geschichte nicht hilft zu überleben, mindestens den sie Ertragenden nicht — auch kenntnisreiche, genaue Geschichtsschreibung wie die eines Noel Malcolm schmilzt das Eis gefrorener Gewalt am Westbalkan nicht.
Was hilft? — Manchen hilft Vergegenwärtigung. Die Stimme derer zu Gehör bringen, die keine mehr haben, die im Krieg sind, Urlaub davon machen und wieder dahin zurückkehren ohne es gewollt, ohne eine Alternative zu haben, und ohne sich die Flucht in Verzweiflung, Apathie, neuen Nationalismus und andere Realitätsverweigerung zu erlauben.
Das Alltägliche des Kriegs in seinem Land zum Klingen bringen, das kann der Musiker wie keiner, ein literarischer Verwandter Danny Laferrières im fernen gottverlassenen Haiti. Auch Zhadan verliert so etwas wie Humor nie ganz, angesichts des «feierlichen Geräuschs» zum Beispiel, das die Glasscherben von Schulfenstern nach dem Bombentreffer unter den Sohlen billiger Sportschuhe ohne Schnürsenkel machen. Bittere Ironie, Musik in einer Welt voll von immer raffinierteren, kostspieligeren, massenmörderischen, buchstäblich jedes Tabu brechenden, medialisierten Kriegen.
Nach einem Intermezzo, während dem der Autor meinte, Tastatur und Bleistift mit Gangschaltung und Lenkrad hinter der Front vertauschen, das Dichten bleiben lassen zu können (Himmel über Charkiv, 2022), lässt Arabesken erneut ahnen, was für ein Dichter Zhadan und was der (Ukraine-) Krieg ist. Der genaue und zugleich irreführende Titel des Originals könnte von Peter Bichsel sein; die (bundes)deutsche Ausgabe weicht aus, sie trägt den Titel Keiner wird um etwas bitten – Neue Geschichten (2025). Zitat: «…auf den Platz gehen und diesen verdammten Sieg an sich reißen,… wie ein Herz ausreißen. Wie einen Fisch aus dem Fluß reißen… Eine Niederlage kann man erklären, aber meistens kann man sie nicht korrigieren» — so redet ein Fronturlauber und Fußballer mit dem Freund, der ihm mit seinen Fragen wehtut (40). Krieg heißt «rationierte Sonne» (60), heißt, die Ex-Frau besuchen und den erschöpften Sohn nicht wecken, auch wenn ihn der Vater nicht mehr gesehen hat, seit «alles anfing» (80), im Krieg ist «Depression Luxus» (99), im Krieg hat man «mit fünfundzwanzig gelernt gekränkt zu sein und zuzuhören» (82) als Schwerverletzter, den die zuvor unerreichbare Klassenkameradin besucht, Blumen in Händen.
Dem Riesen hochgerüsteter, globalisierter Hoffnungslosigkeit mit der Steinschleuder und dem Kieselstein des Wortes entgegentreten: Dichtung. Die Analysen kompetenter Strategen, Putin- und Trumpologen im Ohr, auch die Stimme Traumatisierter, die noch wissen, was Krieg ist und aus eigener Erfahrung zu Pazifisten wurden; im Angesicht auch pandemischer Schlaumeierei und Arschkriecherei, die sich «realistisch» gibt und nichts als perspektivenlos ist. Mit Serhij Zhadan sich einprägen, was der Preis des Kriegs und was der genaue Wert der Wahrheit ist.

Serhij Zhadan: Keiner wird um etwas bitten. Neue Geschichten.
Originaltitel: Arabesky (Meridian Czernowitz, Kyjiw).
Aus dem Ukrainischen übersetzt von Juri Durkot und Sabine Stöhr.
Mit Illustrationen des Autors.
1. Auflage 2025, Suhrkamp Verlag, Berlin