*Das Paradiesgärtlein* anonymer oberrheinischer Maler, um 1420, Öl auf Holz, 33x25cm, Städel, Frankfurt/Main. Bildmeditation in Zeiten von #metoo
Ein nicht veröffentlichtes Résumé des Literarischen Forums Oberschwaben, Wangen, 2018
Eröffnungsrede bei der Ausstellung von Nikolaus Walters Fotografien Kranker und auf Pflege Angewiesener. Tübingen, Hölderlinturm, 15.12.2015
Kommentar zum Segen der Geschlechtlichkeit, nicht zuletzt zuhanden der (meiner) katholischen Kirche
Ansprache zur Vorstellung des Bildbands «Gegen die Betten gerichtet» von Nikolaus Walter, 20.10.2023
Europa ist das Hinterland des Kriegs, mit dem ein betrogenes, eingeschläfertes Russland die Ukraine überzieht. Ein Beitrag zu künftigem Frieden wäre es, die Fassaden der öffentlichen Gebäude in Europa nicht mehr zu beleuchten, solange Krieg ist.
Ein Plan für (Sekundar)Schulen der Europäischen Union, an denen Kopf- und Handarbeit verbunden und die Sprachen der Nachbarländer gelernt werden. - Des Écoles (secondaires) de l'Union Européenne qui combinent le baccalauréat et l'apprentissage d'un métier et où l'on apprend les langues des pays voisins...
Kultur ist Geschenk. Was soll man fordern für ein Geschenk? Achtung und Wertschätzung kann man nur erwarten. Wer arbeitet, hat Anrecht auf seinen Lohn. Welche Kultur? Eine Kultur des Privilegs oder eine Kultur der einfachen Mittel? Ohne Kultur hat Ökonomie keinen Sinn.

Offener Brief an Wladimir Putin

Herr Präsident,

Sie verstehen und sprechen Deutsch; ich habe also Hoffnung, dass Sie diesen Brief eines einfachen deutschsprachigen Bürgers der Europäischen Union lesen ohne Vorbehalt, wie er geschrieben ist.

Vielleicht sei Russland noch nicht reif für die Demokratie, schrieb Alexander Solschenizyn 1973 an die Führung der damaligen »Sowjet«-Union, der Union der Räte, in der kein Rat etwas zu sagen hatte oder auch nur den Mund aufzumachen gewagt hätte; vielleicht brauche es eine autoritäre Struktur. Eine solche haben Sie, Herr Präsident, mit der Effizienz des Geheimdienstchefs, der Sie waren, während Ihrer langen Regierungszeit in Russland wiederaufgebaut.

Aber auch eine solche Struktur — schreibt Solschenizyn 1973, vor der Beschlagnahmung des »Archipel Gulag«, lang vor dem Kollaps der UdSSR —, auch ein autoritäres System, wenn es denn realistischerweise nötig sein sollte, hat klare Grenzen. Sonst verliert es seine Berechtigung. Solschenyzin wörtlich: »Unerträglich ist nicht das Autoritäre selbst, … unerträglich sind Willkür und Gesetzlosigkeit, wenn es in jedem Bezirk, Bereich oder Zweig nur einen Herrscher gibt und sich alles nach seinem alleinigen Willen vollzieht, oft töricht und grausam. Autoritäre Struktur bedeutet durchaus nicht, dass Gesetze nicht nötig sind oder nur auf dem Papier bleiben, dass sie nicht die Vorstellungen und den Willen der Bevölkerung ausdrücken müssen. Autoritäre Struktur bedeutet nicht, dass von der gesetzgebenden, der ausführenden und der richterlichen Macht keine einzige selbstständig ist und sogar überhaupt keine eine Macht darstellt, sondern sich alle dem Telefonanruf einer einzigen wirklichen Macht unterordnen.«

Der militärische und virtuelle Krieg, den Sie nun dem Brudervolk aufzwingen, schien noch vor ein paar Tagen unvorstellbar. In jeder Familie in Europa und nicht nur in Europa wirken die Verheerungen der Jahre 1914–18 und 1939–45 bis heute nach. Jedermann kennt den Preis des Kriegs. Und er schien jedermann zu hoch, selbst wenn man alle möglichen außen- und innenpolitischen Kalküls und Ihre Macht im Rahmen des autoritären Systems in Russland in Rechnung stellte.

Dieser nun trotz vieler Warnungen vom Zaun gebrochene Krieg ist nicht nur atavistisch und nicht nur ein Krieg um die Ukraine und in der Ukraine; es ist zugleich und vor allem die Schlacht um die Zukunft Russlands.

Dieses Land, das Sie heute vollständig beherrschen und wohl noch für eine Weile zu beherrschen gedenken, macht ein Neuntel der Erdfläche aus.

Die russischen Armeen haben Sie wieder aufgerüstet, wie es scheint; Russlands Wirtschaftsleistung — noch ohne von deren Qualität zu sprechen, siehe unten — entspricht allerdings heute etwa der Belgiens und der Niederlande zusammengenommen; der Reichtümer Ihres großen Landes haben sich ein paar Oligarchen bemächtigt, und unter Ihrer Regierung ist die physische und psychische Vernichtung von Kritikern und Kritikerinnen gang und gäbe wie eh und je. Und das mehr als drei Jahrzehnte, nachdem die Hohlheit der Ideologie von der »Diktatur des Proletariats« und der Weltrevolution offenkundig geworden und das kommunistische System zusammengebrochen ist.

Zu dem Land, dessen Präsident Sie sind, gehört seit Jahrhunderten auch der nördliche Teil Asiens. Vor unseren und Ihren Augen tauen dort, in Sibirien, während Sie Krieg in die Ukraine tragen, riesige Bodenflächen auf wegen der menschengemachten Erderwärmung, mit unabsehbaren Folgen für alles Leben auf unserem Planeten. Anstatt die gewaltige Arbeit der Rettung Sibiriens in Angriff (und weltweite Hilfe in Anspruch) zu nehmen und die Schäden jahrzehntelanger Atom- und Kollektivwirtschaft und Zwangsarbeit gutzumachen, halten Sie, Herr Präsident, lieber am alten russischen Hegemonietraum von den »Meeresengen« fest. Auf Deutsch: Russland, autoritär regiert wie eh und je, ist nach wie vor präsent in der halben Welt wie eh und je, in Syrien, Libyen, Mali, offen oder verdeckt, via Cyberspace, mit Gift oder mit Söldnern.

Liegt eine derartige Politik wirklich im »nationalen Interesse«, das Sie immer wieder beschwören? — Sie tut es nicht. Auch dann nicht, wenn sie von anderen Mächten wie China oder den Vereinigten Staaten verfolgt wird. Die Verantwortung einer Nation sich selbst gegenüber liegt in der Erhaltung der eigenen Lebensgrundlagen und in der Gewährleistung des Zusammenlebens unter Recht und Gesetz. Mit solcher politischer Arbeit dient jedes Land, besonders natürlich ein so großes wie das Ihre, der in ihrem Bestand gefährdeten Erde. Nicht durch Großmachtphantasien.

Das bis vor kurzem undenkbare Leid, das Sie mit Panzern, Hubschraubern, Raketen, Drohnen und zigtausenden meist ahnungslosen Soldaten über das ukrainische Brudervolk bringen, wird dieses nicht zerstören. Gerechtigkeit und Wahrheit behalten immer das letzte Wort, siehe Hitler, siehe Vietnam, siehe — hoffentlich bald — Assad. Aber es entfernt Russland, einen Staat mit einer jüngeren Geschichte als es die bewegte der Ukraine ist, von dem Kulturraum, zu dem es gehört. Denn die Wurzeln Europas reichen seit fernsten, seit den legendären Zeiten von Iphigenie und Medea, in den nordöstlichen Schwarzmeerraum und bis zum Ural.

Dass Ihr Krieg gegen die Ukraine nicht die alte, mörderische und sinnlose militärische Eskalationsautomatik in Gang setzt, verhindert bisher — Gott sei Dank, aber auch zunächst zum Leidwesen der Ukraine — nicht »westliche Dekadenz«, wie Sie zu glauben scheinen, sondern Klugheit. Noch einmal: Dieser Krieg ist in Wirklichkeit eine Entscheidung über die Zukunft Russlands in einem Moment, wo die Menschheitsfamilie eine (auch von Solschenyzin schon vor fünfzig Jahren beim Namen genannte) katastrophale Fehlentwicklung nur noch durch entschiedenes gemeinsames Handeln korrigieren kann.

Russland, erwache! Herr Präsident, beenden Sie ohne großes Aufsehen den Krieg gegen die Ukraine, den Nachbarstaat im Südwesten Russlands. Lassen Sie von Ihren Großmachtplänen. Wie auch die anderer Großmächte sind solche über kurz oder lang zum Scheitern verurteilt; es bleibt keine Zeit mehr für Großmächte. Der sich mit exponentieller Geschwindigkeit erwärmende Globus, Sphäre der Menschen und allen Lebens, der gesamten Flora und Fauna, schreit nach einmütigem Handeln. Von der Erledigung der Hausaufgaben Russlands hängt die Zukunft der Menschheit wesentlich mit ab. Russland aber ist Teil Europas. Wie die Ukraine.



Willibald Feinig, 26. Februar 2022

Willibald Feinig
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