Schulen der Union | Des Écoles de l’Union. Ein Plan für (Sekundar)Schulen der Europäischen Union, an denen Kopf- und Handarbeit verbunden und die Sprachen der Nachbarländer gelernt werden. — Des Écoles (secondaires) de l'Union Européenne qui combinent le baccalauréat et l'apprentissage d'un métier et où l'on apprend les langues des pays voisins...
Jede Gesellschaft, jede Gemeinschaft sorgt für Schulen, die den unter Mühen und Kämpfen errungenen Konsens weitergeben und in den Herzen Jugendlicher verwurzeln. Auch die Europäische Union, Staatenbund, entstanden nach Jahrhunderten von Vorherrschaftsdenken, Nationalismus und Kolonialismus, braucht ein Netz von Schulen der Union, um Bestand zu haben.
Die Schulen der Union, in denen im folgenden Appell die Rede ist, sind Sekundarschulen für Schüler:innen zwischen zehn und achtzehn und zugleich Internate und Lehrwerkstätten. Ihre Fundamente sind Beispiel und Praxis. Diese Grundprinzipien der großen Pädagogen werden durch die Idee der Patenschaft ergänzt.
Beispielhaftigkeit
Basis der Pädagogik der Unionsschulen ist das Beispiel. Lehrer und Erzieher (beiderlei Geschlechts, mit oder ohne Familie) teilen das Leben der Jugendlichen. Diese kommen aus mindestens zwei in der Regel benachbarten Nationalitäten. Sie lernen den rapiden technischen Fortschritt kennen ebenso wie das Erbe, die Tradition und das Wissen der Generationen vor ihnen.
In den Unionsanstalten wird mindestens eine Sprache eines benachbarten Landes unterrichtet und gesprochen. In Transsylvanien z.B. wäre das Ungarisch, im Südtirol Italienisch, in Norddeutschland Dänisch, Schwedisch oder Polnisch, in der Tschechischen Republik Deutsch, in Aquitanien Baskisch oder Spanisch, in Flandern Französisch. Erste Unterrichts- und Gebrauchssprache ist die Sprache des Landes, wo die Schule liegt, als dritte lernen die Schüler:innen eine der in der Union am weitesten verbreiteten Sprachen und benutzen sie.
Die Hälfte der Schüler:innen kommt aus Familien, die nicht die nötigen Mittel für eine adäquate Ausbildung ihres Kindes haben, oder sind Waisen oder solche, die weit entfernt von ihren Bezugspersonen leben müssen oder Krieg oder Gewalt oder Flucht am eigenen Leib erfahren haben. Ihr Schulgeld wird von der Europäischen Union übernommen.
Die übrigen Schulplätze sind an Jugendliche zu vergeben, deren Eltern ihrem Kind ein Aufwachsen unter Gleichaltrigen verschiedenster Herkunft in einem Klima sozialer und intellektueller Verantwortung ermöglichen wollen. Sie bezahlen Schulgeld entsprechend der finanziellen Situation der Eltern. Erzieher:innen der Unionsinternate müssen darauf vorbereitet sein, dass die ihnen Anvertrauten oft aus schwierigen Familienverhältnissen stammen.
In der Schule der Union findet nicht nur konzentrierter Unterricht statt, der altersgemäße Beteiligung und Verständnis verlangt, zu Interesse und Kreativität anspornt und europaweit gilt, sondern auch Handarbeit. Die Schüler:innen erlernen ein klassisches Handwerk. Das Ziel der Erziehung im Internat sind umgängliche Charaktere, die Achtung vor dem Anderen haben.
Damit sich dieser Geist entfalten kann, ist jede Unionsschule eine ökonomische Einheit mit eigenem Budget und Handlungsspielraum. Sie soll gemäß den Paradigmen der Kreislaufwirtschaft und des Umweltschutzes geführt werden.
Die Schulen der Union fügen sich in die gegebene Infrastruktur und in die existierenden Schulsysteme ein. Die Kandidatenauswahl erfolgt auf Empfehlung von (Primarschul)Lehrern oder Anderen, die ihre Begabungen kennen; die Kandidat:innen legen eine Prüfung vor einer Kommission aus geeigneten Lehrer:innen des nationalen Schulsystems ab, unter Kontrolle des Kommissars der Union.
Praxis
Die hochspezialisierte Welt verlangt dringend nicht nur intellektuelles, sondern auch praktisches Können. Praxis ist das zweite Fundament der Schule der Union. Das Abgangszeugnis beinhaltet auch eine abgeschlossene Lehrlingsausbildung in einem Handwerk wie Tischler, Köchin, Gärtnerin, Mechaniker, Landwirt. Die Lehre — parallel zum Unterricht — dauert in der Regel zwei Jahre. Lehrlinge in den Unionsschulen erhalten einen kleinen Lohn, überall in der Europäischen Union den gleichen. Die Lehrberufe sind entsprechend den Gegebenheiten und Bedürfnissen zu wählen. Wenn wir die Liebe zu gut gemachter Arbeit und zum Handwerk mit dem geistigen Fortschritt der Schüler:innen verbinden, geben wir gleichzeitig kulturelle und technische Fertigkeiten weiter, die in Vergessenheit zu geraten drohen, in Krisenzeiten aber unerlässlich bleiben.
Ab einem gewissen Alter beteiligen sich die Jugendlichen an den nötigen Arbeiten und Dienstleistungen im Garten, bei der Reinigung, im Büro, bei der Mülltrennung, am Tischdienst etc . Labors für naturwissenschaftliche und künstlerische Betätigung, Bibliothek und Medien stehen ihnen zur Verfügung.
Sie praktizieren Sport und Spiel, z.B. Schach, und nehmen an allen möglichen Wettbewerben teil. Sobald sie das nötige Sprachniveau erreicht haben, verbringt jede Klasse ein Semester in einer Unionsschule eines anderen EU-Landes. Wirtschaft, Umwelt und internationale Beziehungen sind ein vollwertiges Fach auf dem Lehrplan der Schule der Union. Die Schüler:innen müssen mit der Religion und Kultur Europas vertraut gemacht werden, um für die Gegenwart gerüstet zu sein. Statt Schutourismus beschäftigen sie sich mit Musik, Theater, Film oder Zirkus, mit Kunst und Wissenschaft, mit der Schulzeitung oder der Schul-Homepage.
Wenn möglich unter Wiederverwendung bestehender oder aufgegebener Infrastruktur, früherer Kasernen, Schlösser, Klöster, Höfe, Fabriken etc., sollen Unionsschulen an Orten untergebracht sein, die den Kontakt mit der Natur erlauben. Damit man sie führen kann, zählt eine Schule der Union nicht mehr als 400 bis 500 Studierende. Der Direktor, Frau oder Mann, wird von den Professor:innen und Meister:innen gewählt, nach Zustimmung des/der nationalen Minister:in und der europäischen Kommissarin bzw. des Kommissars. Der Direktor ist zuständig für die Anstellung geeigneter Lehrer, Erzieher und Werkstattleiter, Frauen und Männer, nach Prüfung und Konsultation mit Inspektor:in, dem Internatsleiter:in und Verantwortlicher oder Verantwortlichem für die Werkstätten. Bei schwerwiegenden Entscheidungen beruft er den Schulrat ein; dieser besteht aus den Lehrern und Erziehern, den Meistern und Lehrlingsausbildnern, den Klassenvertreter:innen ab dem Lehrlingsalter und drei Delegierten der Pat:innen.
Paten und Patinnen
Trotz ihrer historischen Verdienste haben viele Internate für Jugendliche verschiedensten Alters, selbst sehr angesehene, private wie öffentliche, schlimmsten Missbrauch nicht verhindert. Deswegen, besonders im Hinblick auf die zahlreichen schutzlosen Kinder ohne Familie, muss ein Netz von Paten und Patinnen die Schulen der Union mittragen. Bei diesen Freiwilligen finden die alleinstehenden oder verlassenen Kinder und Waisen Unterstützung, Schutz und im Notfall Zuflucht außerhalb der Schulzeit. Alle Beteiligten - das Land und die Region, in der die Unionsschule liegt, der europäische Kommissar und die, die die Kandidaten empfehlen - arbeiten zusammen bei der Suche nach geeigneten Freiwilligen. Ihr Netzwerk ist wesentlich für ein gutes Funktionieren der Schule der Union.
Veröffentlicht in einer der letzten Ausgaben der Wiener Zeitung am 31. Mai 2023. Der Autor war selbst Gymnasiallehrer und Schüler einer Internatsschule der Republik, die 1918 mit ähnlicher Zielsetzung ins Leben gerufen worden war. (Abdruck erwünscht und erlaubt; Interessent:innen bitte ich, mit mir Kontakt aufzunehmen.)