Jubiläen

Alte Esel jubilieren ohne Unterlass: So deutete der selbst nicht mehr junge Vorstadt-Pfarrer die Vokalreihe A.E.I.O.U. Otto Feurstein war im ersten Lehrkörper des zweiten Dornbirner Gymnasiums, das heuer das Fünfzig-Jahr-Jubiläum seiner Gründung begeht.

Eine nicht gerade habsburgfreundliche Auslegung; denn das A.E.I.O.U. über dem Tor der Wiener Hofburg sollte gelesen werden als Austriae est imperare orbi universo, Österreich stehe es zu, die ganze Welt zu beherrschen - inklusive Mexiko, das der eben zum Gouverneur ernannte Eroberer Hernán Cortés für Karl V. kartographierte - 1522, vor fünfhundert Jahren. Der Stadtplan liegt heute in der österreichischen Nationalbibliothek. Auch ein Jubiläum, aber es gibt wenig zu jubeln, im Gegenteil, Moctezumas Federkrone im benachbarten Museum müsste retourniert werden, wenn sie es aushielte.

Runde Zahlen, Jubiläen. AutorInnen können kaum ein Thema aufgreifen, das nicht mit der Hypothek eines Jubiläums belastet wäre. Manche merken es erst beim Recherchieren, während der Niederschrift oder nach dem Erscheinen. Marktgeübtere rechnen damit bei der Stoffwahl und beginnen rechtzeitig zu schreiben.

Ich singe in einem Jubel-Chor mit, 1872 gegründet, tief im neunzehnten Jahrhundert, dessen “katastrophale Sprachgeschichte” (samt Folgen im zwanzigsten) einen Heimito von Doderer umtrieb. Vor hundertfünfzig Jahren also, im Zuge der “cäcilianischen” Reform der Kirchenmusik, als man(n) Walzer, Märsche, Mozart und ähnlich Weltliches von den katholischen Orgelemporen vertrieb, nicht nur im Kasinerland. Der Gründer des Chors, des ersten Vereines im Vorarlberger Rheintaldorf, war der neue Pfarrer. Er kam aus der gleichen tirolisch-oberösterreichischen Adeligenfamilie wie der SS-General, der für die Auflösung des Warschauer Ghettos zuständig war - richtig, vor achtzig Jahren, 1942.

Vor hundert Jahren schaffte General Mustafa Kemal, der “Vater der Türken”, das Sultanat ab; an die Stelle des korrupten osmanischen Vielvölker- trat der Nationalstaat nach - so schien es damals - erfolgreichem europäischem Muster. Und das in Kleinasien, bewohnt neben Türken von Griechen, Kurden, Armeniern.

Genau vierhundert Jahre ist es her, dass P. Fidelis Ordinis Fratrum Minorum Capucinorum von wütenden Bauern erschlagen wurde. Mit bürgerlichem Namen Markus Rey, Philosoph, Doktor beider Rechte, Advokat, Kapuzinerguardian, Feldprediger und Missionar in Graubünden; Habsburgs Soldaten hatten den Schwaben zur Predigt ins reformierte Dorf geleitet.

Und vor eintausendvierhundert Jahre floh Mohammed, Gottes, des barmherzigen und gnädigen, nach eigener Überzeugung letzter Prophet, aus der Krämer- und Kaaba-Stadt Mekka.

Wie kaum ein anderes erlaubt das Wort “Jubiläum” die Inflation der Worte zu studieren und die Verflüchtigung des Geistes. Mit Doderer (und Musil übrigens). (Glück gehabt: Weder ist die “Strudlhofstiege” 1952, noch sind die “Dämonen” 1962 erschienen. Und auch Musils riesiges work in progress entzieht sich heuer dem Geschäft mit der Erinnerung.)

(geschrieben 2022)

Share