Im Holz. Zu Beichtstühlen, fotografiert von Nikolaus Walter

Die lange Reihe von Farbfotos in den Gängen des Bildungshauses Batschuns hätte etwas von einem Kuriositätenkabinett, etwas Museales, wäre sie auch nur andeutungsweise systematisch, national oder chronologisch geordnet, und nicht bild-logisch — dank vertikaler Unterbrechungen und schwarzweißer Zwischenbemerkungen. Vor dieser Serie von Bildern Nikolaus Walters aus den letzten Jahren bitte ich um Aufmerksamkeit für zwei Dinge, zu denen ich etwas zu sagen habe.
Das erste theologisch und kirchenbezüglich, schließlich stammen die abgelichteten Möbel alle aus (meist römisch-katholischen) Kirchen;
das zweite ästhetisch — zum Werk des Fotografen, des Autors der Bilder. In Wirklichkeit geht es natürlich beidesmal um uns Menschen.


Nikolaus Walter, Beichtstuhl, 2024.
Die Ausstellung im Bildungshaus Batschuns wurde kuratiert von Hannes Ludescher.


[1]

«Auf ins Holz!» Immer noch klingt mir der Seufzer der Patres beim Frühstück im Ohr: Holz? — Beichtstuhl. Stundenlang würden sie nun frierend in der kalten Kirchenhalle zu hören bekommen: «Im Namen des Vaters, des Sohnes … Meine letzte Beichte war vor … Ich habe jemanden schlecht gemacht (— Öffentlich oder in kleinem Kreis?) … Ich war unmäßig beim Essen … Ich habe Unkeuschheit getrieben (— Allein oder zu zweit?)… (Manchmal, seltener:) Ich war rücksichtslos im Straßenverkehr (— Mit Folgen für wen?) … Es tut mir leid … Ego te absolvo, ich spreche dich los im Namen des Vaters, des Sohnes … Als Buße drei Vaterunser. Alles Gute».

So und ähnlich lief es (läuft es noch?) «im Holz» in 95% der Fälle — um von den übrigen 5% zu schweigen, von Tragödien und lebenszerrüttendem Übergriff in vertraulichem, sakrosanktem Rahmen, wie er heute langsam langsam gerichtskundig wird, Gott sei Dank. (Bereits im 13. Jh. sind Beichtgitter nachweisbar, in Fulda — damals zum Schutz beider Beteiligten vor Gewalt, des bevollmächtigten Beichtigers wie der/des Buße Tuenden.)
Seit dem Konzil von Trient, unter dem Schock, der Martin Luther heißt, wurde die Ohrenbeichte ein zentrales Sakrament, um nicht zu sagen Instrument der römischen Kirche. Seit damals ersetzt der arme Generalvikar Johannes aus Pomuk, zum Beichtvater mit Rochett stilisiert, an den Brücken den legendären Heiligen Nikolaus von Myra, nicht nur in Jan Hus’ Böhmen, auch in Lateinamerika.
Noch in die letzte Dorfkirche kam ein Beichtstuhl; Nikolaus Walter hat die Einbauten zielsicher aufgespürt. Nicht oft genug konnten die versammelten «(Konzils)Väter» betonen, dass ja nicht irgendwer (unusquisque) einen Mitchristen/eine Mitchristin von Schuld zu lösen, erlösen, zu befreien befugt sei (um Christen geht es hier, was man in der Diskussion leicht vergisst, ob sie sich nun so nennen, meinen, es zu sein, oder ob sie es sind): Solche «Vollmacht» sei einzig geweihten Personen männlichen Geschlechts vorbehalten1. Unter dem Vorwand derartiger Fragen und Antworten gab es Krieg, jahrzehntelang. Wem war damit gedient?

Denn anderseits ist das Bedürfnis, Schuld loszuwerden groß, die Not universell. Niemand wusste das besser als Jesus. Nach dem Justizmord an ihm vor bald zweitausend Jahren lautet die erste Botschaft an die untergetauchten Nachfolger (ich staune jedesmal, wenn ich es lese/höre): «Friede mit euch! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben» — Das ist laut Überlieferung Gruß und erster Auftrag des unglaublicherweise «Auferstandenen» (wie schal selbst solche Worte geworden sind — dabei weiß jede und jeder, dass die Wahrheit und die Liebe nicht sterben kann). «Wem ihr die Sünden vergebt, die Schuld nachlasst, dem ist sie erlassen»2, ein hinreißendes Wort, weite Perspektive, aufgerissen mitten im Zusammenbruch der Bewegung, die er durch seine heilsame Präsenz und seine geistesgegenwärtige Lehre ausgelöst und gewollt hat! Eure erste Aufgabe, wenn ihr Christen sein wollt: Die Schuld von den Menschen nehmen, die Quelle allen Übels zum Versiegen bringen, den Anfang des Misstrauens, der Krankheit, des falschen Lebens.

Freilich — was heißt «Schuld»? Swetlana Geier hat statt «Schuld» — «Verbrechen» übersetzt. Hier ist nicht der Ort, Hamartiologie zu treiben (Sündenlehre, das Fach gibt es tatsächlich). Nur soviel: Nicht wenige, wenn nicht die meisten, die Schuld auf sich geladen, unbeschreibliche Verbrechen begangen haben, wussten noch nach siebzig Jahren nicht, was sie getan hatten, geschweige, dass es ihnen leid getan hätte. Wir haben es erlebt. Und wahrscheinlich gilt Ähnliches auch für uns.

Die Bezeichnungen für das, was ich hier umkreise, tragen allein schon in den europäischen Sprachenfamilien sehr verschiedene Akzente:
das slawische hrĭch/grěj, usw. kommt von einer Wurzel, die abwischen, vergessen bedeutet (der Mensch hat vergessen, was sein soll); das germanische Sünde, sin, sei, so der Etymologe, ursprünglich wohl ein Rechtsterminus und hänge mit sein zusammen, mit Schuld-Feststellung: Der/Die ist es!3; das romanische peccato, péché etc. steht für Mangel, Krankheit, Flecken, Schaden («animal peccat»: «Das Tier hinkt»), während das fast dreihundertmal im Neuen Testament vorkommende griechische hamartía das verfehlte Ziel bezeichnet und hebräisch ‘avon den gebrochenen Liebesschwur.

Eine menschliche Realität mit vielen Seiten: Schuld, «Sünde».

Umso schwerer wiegt die Verdrehung, die Perversion, die aus der bewusst oder unbewusst ersehnten Befreiung von Schuld ein Kontrollinstrument macht. Der heilsame Sinn des Buß-«Sakraments», der Ohrenbeichte, Tridentinum hin oder her, ist das Ablegen einer Last, die Leben behindert, das Möglichmachen eines Neuanfangs.
Fehlt dieser Sinn, dann wird aus Heil — Holz. Ein Kuriosum im besten Fall.
Glaubenseinsicht, Vertrauen und damit verbunden Verantwortung sind Geschenke, das Wissen, vielmehr die Ahnung: Wir haben uns nicht selbst gemacht (vom jungen Schütz meisterlich vertont in den Psalmen Davids, 1618). Kritische Wissenschaft vertieft mein Staunen darüber jeden Tag. Erster Augenschein und Denkgewohnheiten mögen dagegen sprechen, aber gehört nicht selbst das Streben nach Erkenntnis und nach technischer Erleichterung zur Menschennatur, ist Gegebenheit und hat ihre Vorgaben?
Vergessen wir diese einfache Wahrheit, so schlittern wir in die Katastrophe. Wir erleben es gerade. Mit ihren falschen Prioritäten und mangelhaften Mitteln wird es der Menschheit auf ihrem Planeten noch gelingen, sogar den Golfstrom zum Stehen bringen vor Island und Grönland, das gewisse Leute meinen kaufen und besitzen und mit Profit ausbeuten zu können, seit das Eis schmilzt. Was für ein Profit!
Sünden mit Folgen gibt es offensichtlich nicht nur im Straßen- und bei anderem Verkehr, sondern auch im Denken.
Aber das Bewusstsein der Sündhaftigkeit hilft nicht weiter, so wenig wie bloßer Protest digitalisiertem Populismus den Garaus macht. Not tut die Befreiung von Schuld, erfahrene Umkehr, Neuanfang. Die Möbel, die Nikolaus Walter fotografiert hat, sind der zum Scheitern verurteilte und kontraproduktive Versuch, solche Befreiung einzukasteln, zu kontrollieren.

Befreiung wozu? —

Zur Freude an der Natur, auch ohne Ferntourismus;

an Wissen und entsprechender Verantwortung, auch politischer;

zur Freude der Geschlechter aneinander ohne gewinnträchtige virtuelle Aufgeilung;

zur Freude an der Arbeit ohne Verzicht auf nötigen, gerechten Lohn.

Und so weiter. —

Kann Lebensfreude, kann die Fülle des Lebens erreicht werden mittels Beichtspiegel und -stuhl?
Das älteste erhaltene Möbel für individuelle Ohrenbeichte in Österreich steht im übrigen laut Wikipedia im hinteren, einst evangelischen Murtal und stammt aus der Zeit um 1600, fünfzig Jahre nach dem Konzil von Trient. Und der österreichische Sprachdenker Ferdinand Ebner, des Klerikalismus unverdächtig, bemerkt einmal, die Ohrenbeichte sei das «spirituellste» Sakrament der katholischen Kirche. Und wenn schon Theologie, dann zum Abschluss ein bisschen Latein: Zu einer effizienten Beichte gehört dreierlei: Dass einem die Verfehlung leid tut (contritio), dass man sie eingesteht (confessio) und dass man sie soweit möglich wieder gutmacht (satisfactio). Und in der Sache beschloss das letzte Konzil fast einstimmig, am 4. Dezember 1963: «Ritus und Formeln des Bußsakraments sollen so revidiert werden, dass sie Natur und Wirkung des Sakraments deutlicher ausdrücken.»4

[2]

Und nun noch etwas Ästhetik. Da kann ich mich kürzer halten — Sie haben selbst Augen, viele bessere als ich. Jeder, der Nikolaus Walter und sein Werk kennt — die meisten hier also — wird mit mir feststellen, dass der Mann mit der Kamera und dem Foto-Archiv sich je länger je mehr, ich möchte sagen, vom Theater entfernt, das Menschen machen (vor sich selbst nicht zuletzt, bewusst und unbewusst) und sein Objektiv statt auf derlei Inszenierungen auf — Dokumente richtet. Auf Beispiele also — das Wort Dokument kommt von lat. docere, lehren; es geht ihm darum, Sachen zu dokumentieren, anhand derer man etwas lernen kann. Und er legt größten Wert darauf, sie in gediegener, handfester, nicht nur digitaler Form kommentieren und publizieren zu lassen, wie erneut in diesem Fall.5

Nikolaus Walter, erinnere ich, hat unter Anderem dokumentiert — Kriegerdenkmäler mit ihrer grundverlogenen Rhetorik; schon wegen der Rinde merkwürdige Platanen, oft und oft an Straßenrändern und auf Plätzen geschändet; Grabsteine auf dem Genoveser Friedhof; Betten, in den sich das halbe Leben abspielt.

Und nun Beichtstühle.

Ohne Anspruch, wie gesagt, auf Systematik oder Repräsentativität. Die Serie ist nicht komplett, deckt nicht Europa ab, geschweige denn die Welt. Trotzdem wirkt sie geradezu üppig. Es sei Ihnen überlassen, regionale und epochale vielsagende Besonderheiten oder Änderungen fest- und Vergleiche anzustellen. Die meisten bemerkenswerten Beicht-Möbel fand er auf Fahrten dies- und jenseits der Pyrenäen. In Spanien, Italien und Frankreich sind sie besonders erfinderisch eingefügt in vorhandenen Baubestand, mit und ohne Feuerlöscher und mehr oder weniger peinlichem Kommentar daneben. Auch frappante Momentaufnahmen verzichtet Nikolaus Walter mehr und mehr (einmal schaut er einem Touristen zu, wie der das seltsame Gerät inspiziert). Auch auf perspektivische Kunststückeln — etwa wie Maler auf Schatten verzichten, die die Dinge werfen, um sie für sich selbst sprechen zu lassen. Lernen wir von solchen Lehr-Beispielen mit ihrer Vielfalt an Brauntönen (und den alten schwarz-weißen Sündenfällen dazwischen), ein erfahrener Fotograf und leidenschaftlicher Dokumentator des Menschlichen hat sie zusammengetragen: Nicht nur, dass der Mensch naturgemäß (würde Thomas Bernhard sagen) ein Sünder, sondern auch, dass es vergebliche Liebesmüh ist, seine Sündhaftigkeit zu kurieren per Ritus und Architektur.

Was aber aller Mühe wert bleibt: Vergebung zu erfahren, und zu vergeben, frei zu werden von Schuld — einmal hoffentlich auch von der, die wir (noch) verdrängen —, zu leben mit dem lebendigen, dem nicht vereinnahmten Gott.


1 z.B. Denzinger-Schönmetzer, Enchiridion … (26. Auflage, 1965) 1684. Sogar ein notorisch sündhafter und unwürdiger Priester, beschloss man in derselben Sitzung, November 1551, behalte diese Vollmacht. Weiter heißt es zur Abwehr von Vorwürfen von reformierter Seite: «Kein Beichtender soll sich bezüglich seines Glaubens täuschen und meinen, ohne dass ihm sein Vergehen leid tut und ohne dass er dem Priester gegenüber im Ernst Vergebung dafür anstrebt, einzig durch seinen Glauben sei ihm in Wahrheit vor Gott vergeben. Wie weder bloßer Glaube ohne Wiedergutmachung irgend eine Befreiung von Schuld bewirkt, so treibt mit seinem Heil Schindluder, wer sich lossprechen lässt von einem Priester, der es nicht ernst meint.» (Übersetzung durch den Autor).

2 Es folgt — typisch biblisch — der Nachsatz «wem ihr sie behaltet, dem sind sie behalten» um Verkürzung, Missverständnis und Missbrauch zu verhindern, was wie gesagt wiederum — typisch institutionell — zur Deutung als Vollmacht führte und führt.

Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 23. Auflage, 1995

4 Liturgiekonstitution 72 (zitiert nach Rahner-Vorgrimler, Kleines Konzilskompendium, 11. Auflage, 1976)

5 Nikolaus Walter: Über den Versuch, das Sündhafte mittels eines Möbelstücks aus der Welt zu schaffen. 37 Bilder auf 64 Seiten, Text von Bernhard Kathan. Gestaltung: Laurenz Feinig. Im Eigenverlag erschienen, 2025. Erhältlich über den Fotografen oder über das Bildungshaus Batschuns