Ein Aufruf. To whom it may concern
Je länger der Krieg in Osteuropa dauert, desto mehr Dämonen entfesselt er.
Während Menschen sterben unter russischen Granaten und Raketen Tag und Nacht in einem systematisch zerstörten Land, kochen Machthaber in der Nachbarschaft, die um ihre Macht fürchten, ihr innen- und außenpolitisches Süppchen auf solch tödlichem Feuer;
Erpressung droht an die Stelle von Soldarität zu treten;
statt der gefährdeten, fragilen Klimahülle unseres Planeten stehen uns die Bilder der zerstörten Dörfer und Städte im Donbass vor Augen, dröhnen die Namen Mariupol, Lysitschansk, Buschta in den Ohren; selbst die atomare Gefahr und die globale Virus-Verseuchung werden vergessen;
statt den Problemen eines Landes ins Auge zu sehen, das aus der Diktatur in Oligarchokratie und Klientelismus gekippt ist wie auch die anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion – die künftige Integration in die Europäische Union wird sie nicht automatisch lösen -, geht es nun um Rüstung und Waffenlieferungen;
als ob nicht ein mutwilliger Vernichtungskrieg die Ursache wäre, schüren Populisten allerorts die Angst vor ausbleibenden Gaslieferungen und hohen Benzinpreisen, die Angst um Wirtschaftswachstum, Arbeitsplatz und Wohlstand – und alle scheinen sie zu fürchten, sie und den Lärm, den sie machen via Internet;
während Afrika von Dürre heimgesucht wird und verhungert, dienen nicht nur die Trollfabriken in Petersburg, sondern auch die Getreidesilos von Odessa, Mykolajiv und Cherson als Waffen im Krieg um die Weltmeinung;
während sie militär- und informationstechnisch an vorderster Front stehen, erweisen sich Europas Medien als hilflos, sobald es um Verantwortung geht, um die Moral, um Wachsamkeit im Hinterland, zu dem ganz Europa geworden ist, seit wieder Krieg tobt - wie vor 30 Jahren am Balkan, wie einst im 20. Jahrhundert. Was schürt Information solcher Art anders als Überdruss an einem Leid, das sich nur gemeinsam ertragen und hoffentlich bald beenden lässt?
Seit Monaten durchfurchen Geschoße den Nachthimmel über dem Dnjepr; sie legen Fabriken in Schutt und Asche, Spitäler, Schulen, Kindergärten, rauschend gehen die Fassaden der Wohnblöcke und Hochhäuser zu Boden. Wir aber beleuchten unsere schönen Fassaden und hoffen, dass sie wieder mehr Tourist:innen anlocken als in den Jahren der Pandemie (die nicht vorbei ist). Wir klagen über die Stornierung von Ferienflügen, während die Senior:innen in Charkiv die Keller nicht erreichen können, wohin sie vor den Granaten der Großmacht fliehen könnten, groß nur noch an Rüstung und Gehirnwäsche.
Sicher ist, dass auch ihr ein schweres Erwachen bevorsteht – aber wann? Erst, wenn wer weiß wieviel von der Erde verbrannt ist zwischen den Mündungen von Donau und Don.
Putins Krieg ist ein sehr konventioneller Krieg, ein Rüstungs- und Zerstörungskrieg, wie wir ihn aus dem 20. Jahrhundert zur Genüge kennen und den - am Ende – nur gewinnen kann, wer das Recht auf seiner Seite hat. Warum werden nicht längst die konventionellen Mittel dagegen eingesetzt? Warum werden nicht längst Millionen Flugblätter abgeworfen über Petersburg, Kaliningrad, Moskau und Nishni Nowgorod? Warum erinnern wir das Volk Gogols, Gorkijs, Sacharows und Irina Muraktajewas nicht an seine Mitverantwortung für das, was geschieht? Auch dieses Volk, von einem Ex-KGBler und seiner Nomenklatura mit den Methoden des Internetzeitalters ebenso geknebelt, eingelullt und gelähmt wie mit Gift, ist ein europäisches.
Jetzt gilt es, in Europa, im Hinterland eines Krieges, den Wahnwitz vom Zaun gebrochen und falsche Sicherheit nicht verhindert hat, achtsam und solidarisch zu bleiben, alle Energien zu sparen und zu bündeln - die geistigen zuallererst. Einfache Lebensweise und Vertrauen sind unsere Zukunft und die Zukunft der mit Krieg überzogenen Ukraine. Er wird Auswirkungen haben auf ganze Generationen, Europa hat es erfahren.
Ein kleiner, aber wirksamer Beitrag zu künftigem Frieden wäre, wenn jede Gemeinde, jede Stadt Europas die Fassaden der öffentlichen, historischen und anderen denkwürdigen Gebäude, Plätze und Monumente bei Nacht nicht mehr beleuchten würde. Solange, bis der Krieg vorbei und die Ukraine befreit und auf gutem Weg ist.
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