Müsle, gang ge schlofa

Ansprache zur Vorstellung des Bildbands “Gegen die Betten gerichtet” von Nikolaus Walter

im Hüslernest / Feldkirch, 20. Oktober 2023

Fakt ist – Andreas Rudigier, Johanna Ess und Monika Helfer unterstreichen ihn in ihren Textbeigaben zu dem Foto-Buch, das wir heute in einem einschlägigen Geschäft vorstellen -; Fakt ist: Der Mensch liegt und schläft während der Hälfte seiner Lebenszeit. In unseren Breiten meist in einem der Gestelle auf vier Füßen, wie sie hier zu besichtigen sind und verkauft werden. Am Lebensanfang und am Lebensende schläft man und frau meist mehr, in gewissen jüngeren Jahren deutlich weniger, wenn überhaupt. Auch manche Leidende und manche von ihrem Amt, ihrem Dämon, ihrer Aufgabe Besessene, z.B. Karl Kraus. Er soll mit drei Stunden Schlaf pro Tag ausgekommen sein. An Orten, wo es nicht einmal ein Bett hat – in gewissen Gefängnissen oder am Boden, auf der nackten Erde, in der Zelle des freiwillig oder unfreiwillig Armen ist man/frau nicht gern Mensch.

Es gibt einen großen Hymnus von Charles Péguy:

Ich mag den nicht, der nicht schläft, sagt Gott.

Der Schlaf ist des Menschen Freund,

der Schlaf ist der Freund Gottes

und weiter:

Wie das Meer das Wasser, speichert die Nacht das Sein.

Nacht, für den Menschen nahrhafter als Brot und Wein.

Aber im übrigen spielt das Bett in den Künsten – von zwielichtigen Randzonen abgesehen - eine doch eher bescheidene Rolle, vergleicht man sie mit dem Platz, den es im Leben innehat.

In der Musik hören wir davon vorwiegend in Schlafliedern für Kinder: Im Rheintal etwa

Müsle, gang ge schlofa

oder

As dunklat ondra Bänka.

Was auch alles im Bett geschehen mag, Ausruhen oder Wundliegen, Kuscheln und Zeugen, Träumen, Flatulenz oder Schnarchen,

vom Gitter am Fußende des elterlichen Doppelbetts bis zum Leintuch, auf dem der letzte Atemzug getan wird,

von der Schlafhöhle in der indischen Megapolis oder in Pompei bis zur chambre d'hôte mit Biedermeiermöblierung,

vom Bordell (inzwischen, glaubt man den Statistiken, ins Internet abgewandert) bis zum Himmelbett,

vom Hotelbett, neben dem nicht Platz ist für das kleinste Tischchen, bis zur Unaufgeräumtheit nach der Liebe oder dem schweren Arbeitstag eines Bauarbeiters,

von den künstlich getürmten Polstern und Tuchenten im Montafon (wer wagt es, an solche Wunderwerke der Häuslichkeit zu rühren?) bis zur ewigen Ruhestätte aus Marmor und zum Massenlager und zur Matratze mit den herausspringenden Sprungfedern, halb oder ganz im Freien

von den Stockbetten in gewissen Baracken zu schweigen, auf denen Homers “gliederlösender Schlaf” nicht möglich war (Nikolaus Walter hat im KZ nicht fotografiert, mindestens die Bilder von KZ-Pritschen nicht in das Buch aufgenommen, auf denen man sich nur umdrehen konnte, wenn alle in ein Bett Gepferchten mitmachten. Nikolaus Walter richtet das Objektiv auf das Nahe, den Alltag, auf die Umgebung von Schlafenden wie ich und du).

Die fotografische Kunst räumt mit diesem Band mit Schwarzweiß-Bildern dem Bett den Platz ein, der ihm gehört – danke, Nikolaus Walter! (Denn Fotografie ist eine hohe Kunst. In ihr geht es nicht um aufgeschnappte, auf den ersten Blick frappierende Wirklichkeit, schön oder nicht, und auch nicht um Inszenierung, weder vor noch hinter der Kamera, sondern zuletzt wie in jeder Kunst um den liebenden Bezug zu allem, was Menschenantlitz trägt und dem Menschen anvertraut ist.)

Nikolaus Walter erweist einem Grundgerät der Menschheit die gebührende Ehre.
Wie zuvor (nur ein paar Beispiele)

den Rinden bedrohter Platanen an den Chausseen,

den Denkmälern für Opfer unverständlich gewordener, entsetzlicher Kriege in der Mitte Europas

und den Denkmälern ewiger Jugend und Trauer auf dem Genueser Friedhof,

den Hinterköpfen der Zeitgenossinnen und -genossen

oder einem so abgelegenen steilen bebauten Flecken Erde wie es das Große Walsertal ist,

oder Herrn Zudrell, dem Gärtner der Stella,

oder Peppi Gamper – ich habe ihn nicht gekannt, aber dank der Fotos höre ich ihn draußen vorbeischlurfen in seinem Mantel am Hüslernest hinter dem Feldkircher Katzenturm.

Wieder antwortet ein sorgfältig für den zweiten Blick gestalteter Band mit SW-Bildern von Nikolaus Walter auf die Frage Wo ist die Mitte zu finden? klar wie eh und je: Am Rand. Wo hat die Wohnung ihren Mittel- und Ruhepunkt wenn nicht im Raum, in dem das Bett steht?

(Das Buch kann bezogen werden über niwalt@aon.at.)

1 Je n'aime pas celui qui ne dort pas, dit Dieu, aus dem “Porche du mystère de la deuxième vertu”, 1905

Willibald Feinig
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