Bagatellen

Erschienen 1996

Unwahrscheinlich, dass der Weg von Kleingradenegg herab damals schon Spitzkehren machte mitten im Hang. Die Janitscharen werden, als sie das Kirchlein nicht zum Brennen brachten (Steinschindeln), die Wasserlinie entlang geritten sein und Hafenberg angezündet haben, das Matthäus Merian auf der Karte des ducatus Carinthiae anno Domini sechzehnhundertundnochetwas als Burg verzeichnet, wie Dietrichstein. (War er nie in der Gegend? Kein Verlass, nicht einmal auf renommierte Geographen und Historiker, Dehio, Die Kunstdenkmäler Österreichs, Kärnten, lässt die Aufständischen 1478 in Ossiach tagen, dabei kamen die Bundesbauern, wiejederKärntnermindestensläutengehörthat, im Weiler Vassach zusammen.)

An der Felskante, von wo der Weg schräg durch den Wald hinab zur Rogg führt, könnte sie Photius gesehen haben. Vielleicht war es das lautlose wiederholte Abtauchen von Pferdeleibern in seinem Augenwinkel und etwas Buntes zwischen den Buchen (Eichen? Eschen?, Fichtenmonokulturen gab es in den Tallagen nicht). Etwas, das den Mönch an den Rhythmus der Bewegungen hinter den Zinnen erinnerte, Konstantinopel gegenüber, an die blitzenden Stäbe mit den Rosshaarschwänzen, an den 29. Mai 1453.

Vielleicht war es auch eine plötzliche, geballte, schwarzgrauweiße Rauchsäule über Hafenberg, die ihn die Hand ans Beutelbuch legen und stehenbleiben ließ. Oder ein übereilter Vogel, der stutzig machte. Jedenfalls an der Stelle, wo die Schlucht sich weitet. Neben, sagen wir, einem runden Meilenstein mit hervortretenden weißen Quarzadern und den gerade noch erahnbaren Buchstaben MP. In der Ebene, die dort beginnt, auf dem Boden, rinnt das Wasser nicht weniger schnell, aber leiser (Krebswasser). Auf den sauren (damals) Wiesen lassen wir Schotter und Geröll herumliegen, vom letzten Dauerregen oder von einem der tage- und nächtelangen brüllenden Gewitter, wie sie sich in den Kesseln des Nockgebirges verfangen.


Heuer war die Esche über den Fensterrand gewachsen. Bei Photios’ Einzug in den Turm wird sie ein Busch am Grabenrand gewesen sein, 1454, Mitte September, man deckte gerade die Stallungen neu (Stroh?). Am Hang vis-à-vis, zwischen den Obstbäumen, in denen sich die Schwalben lärmend zusammenrotteten, waren damals zwei Huben mit hohem Dach und weißen Kalkfugen gestanden. Jetzt zählte der Grieche vier weitere Keuschen, alles weder dem Bamberger Ambthof ze Veldtkirchen noch dem Abt von Ossiach noch dem Dietrichsteiner pflichtige, armselige Freibäuerlein, einen Dialekt sprechend, der ihn an seine vergessene Muttersprache erinnerte. Welches war das Heuschreckenjahr? 1477? Der Himmel schnatterte. Als die Felder kahlgefressen waren, kam der Bote des Bundes. Ungarn wie Türken waren die Duorzner bis jetzt entgangen.

Der Wind dreht. Einen Moment lang ist das stürzende Wasser in der Mühlschlucht zu hören — zumindest der hört es, der weiß, dass der Roggbach am Fuß der Felswände über Wehre und durch Schleusen hindurch muss.

Photius hört es. Er ist auf dem Rückweg von der Steyerburg, ist den Mühlweg gegangen wie immer. Er hat Johannes gelesen im Original, mit dem gestrengen Ritter Christoff von Halleck (wie er auf der Grabplatte heißen wird elf Jahre später): Schnell muss der Türkenpfennig her, sonst nützt er nichts! Die Mühlen.

(Dietrichstein, Anfang)

Willibald Feinig: Bagatellen. Prosa | Verlag Bibliothek der Provinz | ISBN 3·85252·154·X

72 Seiten, Hardcover, 16x22cm

Willibald Feinig
Bahnstraße 3a · 6844 Altach, Österreich