Vernähte Zeit. Die Bosna Quilt Werkstatt (mit Nikolaus Walter und Lucia Lienhard-Giesinger)

Wendelin Schmidt-Dengler bei der Präsentation in der Nationalbibliothek, Wien:

"Ein schönes Buch, singulär in der Verquickung von Bild - dokumentarischen und künstlerischen Fotos, Reproduktionen der Bosna Quilts - und literarischem Text, der in sich wieder viele Möglichkeiten der Textur anbietet: Da ist der sachlich nüchterne Gebrauchstext, der die Geschichte Bosniens erzählt, über den Bosna Quilt und seine nicht minder komplexe Genese im Vorarlberger Flüchtlingsheim informiert, von einer Reise nach Bosnien berichtet im Jahr 1998, ein Reisebericht, geschrieben mit dem bangen Organ des Appercipierenden, der auf der Hut ist und den richtigen Tonfall treffen muss, gleich fern von Anbiederung ans Exotische wie von der Überheblichkeit des Touristen aus den Weltgegenden, in denen es besser zu sein scheint. Da gibt es die Dokumentation, die in nüchternen Daten vom Schicksal bosnischer Frauen erzählt, Jahrgang 1939 bis 1967, eine ganze Generation, in deren Leben der bosnische Krieg die Zäsur schlechthin bedeutet; die Geschichte von Vertreibung und Not, schmucklos und eindringlich vorgebracht. Da gibt es das Interview, das Authentizität gewährleistet.

Mit diesem Text zeigt Feinig sehr schön, wie Literatur in den Zonen der Bedrohung funktionieren kann, wie es möglich ist, ohne in den saloppen Ton des Reisefeuilletons zu verfallen oder dem Sensationsjournalismus dienlich zu werden, von etwas erst jüngst Vergangenem zu berichten, behutsam, nicht emphatisch und - wie man in Wien sagen würde - "anlassig".

Was die Bilder betrifft, die schönen Reproduktionen - meine Worte reichen nicht hin, um die Eindrücke zu beschreiben, die ich aus ihnen gewonnen habe. Da mag man über die Farben, die Konstellationen der Flächen, das Ineinander staunen - selten wird man etwas so in sich Geschlossenes und Überzeugendes finden.

Noch etwas - der geglückte Titel "Vernähte Zeit" bezieht eben beides ein: Das Gewebe des Textes und das Textile an den Bosna Quilts. Beide sind Ausdruck Desselben, einmal in der Sprache mit der Vielfalt ihrer Möglichkeiten, und einmal mit der Materie des Stoffes, der Nähte und der Farbe. Selten wird die Nähe von Text und Gewebe so sinnfällig, so anschaulich wie in diesen Gebilden.

... Es wäre nun der letzte Einwand auszuräumen: Wieso ein schönes Buch angesichts einer solchen Katastrophe? Ich glaube, dass hier etwas Wichtiges geschieht... Bosnien und seine Kultur würden vollends der Zerstörung anheimfallen, gäbe es nicht diese Mühe um das Feine und Besondere. Mag die Wurzel des Quiltens auch folkloristisch bestimmt sein: Diese Kunst manifestiert künstlerische Arbeit jenseits aller Volkstümlichkeit. Das "schöne Buch" erweist sich als das Mittel, um Respekt vor dieser Kunstarbeit auszudrücken, über ihren traurigen Anlass hinaus. Der Bosna Quilt ist ein hervorragendes Beispiel des ästhetischen Widerstands."